von Elfriede Jelinek
Thalia Gauss
Publikumspreis Körber Studio Junge Regie 2015
Mann trifft Mädchen. Mann ist von Mädchen fasziniert. Will sie haben. Kriegt sie. Oder nimmt sie sich einfach. Egal. Auf jeden Fall bekommt er seinen Willen. Seinen frei in der Hose baumelnden
Willen. Mädchen wird schwanger. Mann verschwindet. Mädchen bringt aus Verzweiflung ihr Kind um und landet dafür im Kerker.
Wie man die Fabel um Faust auch dreht und wendet, es ist beinahe unmöglich, Gretchen dabei als frei handelnde Person zu beschreiben. Sie reagiert. Sie entscheidet aus Abhängigkeiten heraus. Sie
ist den Zwängen ihres Standes, Geschlechts und ihres Verhältnisses zum Mann unterworfen. Gretchen hat keinen Platz in dieser Welt.
"FaustIn and out" ist der Pudel, der kläffend neben dem großen Klassiker Faust herlaufen und den Zuschauer mit seinem Geheule bis zur Erkenntnis malträtieren soll.
"Beherzt greift sich Paulina Neukampf von der Thaterakademie Hamburg den Faust-Kommentar, um ihn als Pamphlet über die Frau in der heutigen Gesellschaft zu inszenieren. Dass die Vorlage sich auch mit den Fällen Natascha Kampusch und Elisabeth Fritzl auseinandersetzt, tritt hier in den Hintergrund. In Jelineks Text, der sich an Frauenbildern und dem bürgerlichen Familienmodell abarbeitet, kann man das Eingesperrt-Sein im Keller gut als inneren Zwang begreifen, hervorgerufen durch eine männlich dominierte Welt in all ihrer Brutalität.
Das setzt Neukampf mit ihren sieben Schauspielerinnen deutlich um. Zu Beginn gebären zwei der Figuren einen „Faust“-Band unter Schmerzen, aus dem dann gelesen wird – ein starkes Bild, ein Einstieg, der knallt. Insgesamt ist die Vordiploms-Inszenierung sprachlich und handwerklich ausgezeichnet gearbeitet. Doch so abgeschlossen sie zu Beginn aussieht, so konzeptionell durchdacht sie auf den ersten Blick wirkt, wird doch auch im Publikumsgespräch klar, dass hier viel intuitiv entstanden ist. Dem durchweg weiblichen Team ist vor allem Wut darüber anzumerken, dass der Feminismus heute irgendwo stecken geblieben, irgendwie uncool geworden ist – obwohl doch ungezählte Missstände auf die Aktualität der Gretchen-Rolle hinweisen. Folgerichtig setzt Paulina Neukampf dem Jelinek´schen Kommentar auf Goethes Faust die Verfilmung von 1926 entgegen. Die Welt, die die Figuren im Keller von außen mitbekommen, ist fast 100 Jahre alt. Hat der Feminismus wirklich so einen Bart?"
Hamburger Feuilleton, Natalie Fingerhut, 2.7.2015
Premiere: 20. Juni 2014, Thalia Gauss, Hamburg
Mit Dagmar Bock, Rosangela Ferreira Köhler, Rabea Lübbe, Rébecca Marie Mehne, Lina Rabea Mohr, Julia Moorman, Ina Tempel
Bühne Clara Kaiser
Kostüm Lena Schön, Helen Stein
Dramaturgie Laura Kiehne
Regieassistenz Rosangela Ferreira Köhler